Krisenphasen überwinden - Wie du dir Raum schaffst auf dem Weg deiner Heilung

Mir ging es in den letzten Wochen selbst nicht gut. In mir war und ist noch immer ein Prozess im Gange, für den ich mir mehr Raum eingeräumt habe, als ich es sonst zulassen konnte. Jede Episode, so nenne ich die akuten Phasen, in der die Depression und die Ängste sich in den Vordergrund meines Alltags drängen, bringt etwas mit sich. Diese brachte eben genau die Erkenntnis für mich mit sich, was es für mich bedeutet, sich selbst Raum zu geben. Und so möchte ich in diesem Blogpost gerne meine Einsichten mit dir teilen, wie ich mir diesen Raum ganz aktiv schaffe und was er für Potentiale auf dem Weg der eigenen Ganzwerdung, des inneren Wachstums birgt.

Ich weiß inzwischen sehr gut, dass Heilung in Wellen geschieht. Ich stelle mir das manchmal so vor, wie die Schichten einer Zwiebel, dich dich mein unversehrter Kern angezogen hat, um sich zu schützen. Denn alles, was wir im Leben erfahren, ganz besonders in unserer Kindheit, prägt uns. Wir haben als Kinder noch nicht den Blick oder die Möglichkeit des Perspektivwechsels, der erkennen kann, dass die Menschen, die uns nahe stehen manchmal aus ihren eigenen Verletzungen heraus handeln. Anstatt zu erkennen, dass verletzendes Verhalten nichts mit uns selbst zu tun hat, beziehen wir es aber auf uns. Suchen den Fehler bei uns. Und so ziehen wir uns sprichwörtlich all die Schichten an, die uns am Ende glauben machen, wir seien nicht gut genug. Wir fragen uns, was wir an uns verändern müssen, um geliebt zu sein. Und so entsteht schließlich unserer eigenen Versehrtheit. Wir spüren sie in sogenannten Triggersituationen im Alltag und bekommen dann die Möglichkeit über Achtsamkeit, Reflexion und Wohlwollen mit uns selbst alte Schichten wieder ablegen zu können. So entsteht die Chance neu zu hinterfragen, ob das, was wir über uns glauben, wirklich der Wahrheit entspricht, ob unser Verhalten noch zu dem passt, was unsere Werte heute im Erwachsensein ausmacht.

Dieses Herauswachsen aus alten Mustern klappt nicht von heute auf morgen. Unser Gewordensein zu transformieren braucht Geduld. Es braucht quasi ein Update unseres Systems auf die Version, die von Herzen weiß und spürt, dass wir im Jahr 2023 auf eigenen Füßen stehen, selbst entscheiden dürfen. Es braucht ein Hineinwachsen in eine Erfahrung, die aus dem tiefsten Innern weiß, dass wir zu jeder Zeit liebenswert und wertvoll sind, egal was andere darüber jemals gedacht haben oder dazu gesagt haben.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal konkretisieren, was ich unter Heilung verstehe. Ich habe es zuvor schon einmal angesprochen, dass ich davon überzeugt bin, dass jeder Mensch einen unversehrten Kern in sich trägt. Damit meine ich einen Anteil, der von Verletzungen, Beschämungen oder anderen prägenden Erfahrungen verschont geblieben ist. Es ist ein Anteil, der zu jeder Zeit weiß und fühlt, dass wir ganz richtig sind, so wie wir sind. Im Yoga nennen wir diesen Teil auch das Selbst oder Atman.

Der Weg der Heilung bedeutetet für mich, Schrift für Schritt mit diesem Unversehrten in mir wieder in Kontakt zu kommen. Dabei helfen mir Qualitäten von Achtsamkeit, Wohlwollen und Mitgefühl mit mir selbst. Die Heilung an sich bedeutet in meinem Verständnis am Ende NICHT, dass ich noch noch und zu jeder Zeit frei meinen meinen alten Prägungen bin und in mir selbst ruhe. Das ist utopisch und unrealistisch. Sie bedeutet vielmehr, mich mir mit Achtsamkeit und Wohlwollen zu begegnen und mich und mein Handeln anzunehmen. In dieser Haltung entsteht schließlich der Raum, neue Entscheidungen zu treffen, eigene Wege zu gehen, die meinem wahren Selbst entsprechen.

Und genau dieser Raum ist es, den ich erneut für mich entdeckt habe. Seine Kraft und den Geschmack nach Freiheit, den er mit sich bringt, möchte ich mit dir teilen. Für mich war es nämlich eine regelrechte Erkenntnis, dass es im Leben u.A. genau darum geht:

Raum für sich selbst zu machen, Raum zu geben, um das eigenen Selbst zu entfalten, Raum zu geben für das eigene Sein frei vom Müssen und den Raum zu geben, sich in diesem Leben zu spüren und erfahren zu können.

Damit du selbst besser greifen kannst, wovon ich spreche, möchte ich mit dir eine konkrete Übung machen. Für diese Übung benötigst du einen Haushaltsgummi oder eigenen Haargummi. Hast du den Gummi? Dann greife ihn so, dass beide Hände ihn zwischen Daumen und Zeigefinder halten. Spanne ihn noch nicht auf. Stell dir jetzt gerne vor, der Gummi repräsentiert den Zustand, den dein Körper-Geist-System im jetzigen Augenblick hat. Wähle dafür eine Dehnung des Gummis, die sich für dich stimmig anfühlt und die den deinen jetzigen Zustand gut repräsentiert. Lass dabei Raum, den Gummi noch weiter dehnen zu können. Dann bleibe hier, spüre der ersten Weitung nach, die du für deinen „Ist-Zustand“ gewählt hast. Beginne dann etwas mehr Raum zu geben, indem du den Gummi soweit weitest, wie es für dein System noch stimmig ist. Wichtig ist jetzt, dass du ein Mehr an Platz und Raum für dich öffnest, ganz metaphorisch mit dem Gummi in deinen Händen. Spüre auch hier nach was sich für dich zeigt. Begleitet von dem Wissen, dass du jederzeit wieder zur Ausgangsposition zurückkehren kannst. Spiele gerne noch etwas mit dem Öffnen und Schließen des Gummis. Bleibe dabei in der Vorstellung, dass das Gummi den Spannungszustand deines Systems, deines Innen, widerspiegelt. Wird der Gummi eng, geh innerlich mit. Wird er weit und du ziehst ihn in die Dehnung, geh innerlich mit.

Vielleicht hast du gerade wahrnehmen können, dass allein die Möglichkeit, dass dein Inneres sich mehr Raum nehmen kann, auch im Gefühl und deiner Körperempfindung mehr Platz bringt. Vielleicht hat sich beim Ausdehnen des Gummis ein tiefer Atemzug ergeben. Solltest du bei diesem kurzen Experiment nichts wahrgenommen haben, ist das auch völlig in Ordnung. Dann kann es sein, dass du auf einer anderen Ebene als der körperlichen einen besseren Zugang hast.

Was ich mit diesem Experiment verdeutlichen möchte ist, dass wir aus einem Köper-Geist-Zustand jederzeit in der Lage sind, in einen anderen zu wechseln. So kommen wir in ein Pulsieren. Ganz egal, ob der Unterschied zu vorher nur ganz minimal ist oder nur kurz anhält. Es geht. Und das erkenne gerne an.

Besonders in Krisenphasen, wo wir selbst das Gefühl haben nur noch unsere Gedanken oder die Angst selbst zu sein, ist diese Erfahrung sehr wertvoll und erleichternd. Angst schafft Enge in uns. Raum und Platz sind das eine Gegenantwort, die schon wieder den ein oder anderen tiefen Atemzug zulassen kann.

Wie also kannst du nun konkret diesen Raum in dir wieder erfahren, der Platz macht für wohlwollende Gedanken, Gefühle und Empfindungen in dir?

Wenn du es ausprobiert hast, dann ist das kleine Experiment mit dem Gummi vielleicht ein kleiner Vorgeschmack. Es ist eine Möglichkeit ganz unabhängig vom Thema, was in dir arbeitet, mehr Platz in dir zu erlauben. Für mich war es hier vor allem die Erfahrung festzustellen, dass mein System sich von ganz allein in die Regulation bringt, wenn ich es eben nur lasse. Als mir dieses Experiment in einer Therapiestunde angeboten wurde, habe ich wieder Vertrauen in mir nähren können.

Ich habe noch einige weitere Beispiele, dich ich hier vorstellen möchte. Davor noch der Gedankeneinschub, dass, wenn ich von Raum spreche, ich immer Raum auf allen Ebenen deines Seins meine:

auf der Ebene deiner Gedanken (Raum für wohltuende Gedanken, Zuversicht) auf der Ebene des Körpers (z.B. freiere Atmung, Lockerung im Schulter-Nacken-Bereich, mehr Erdung in den Füßen) auf der Ebene deiner Gefühle (einen Funken oder deutlich spürbare Qualitäten von Leichtigkeit oder Sicherheit)

Ist eine Ebene blockiert, ist es möglich über eine andere, einen Zugang zu bekommen, der dich wieder in die Pulsation und somit raus aus der Enge und der Starre bringt.

Ebene der Gedanken:

Bei mir kreisen oft Selbstwertthemen und wenn ich meinen Gedanken lausche, dann höre ich allzu oft, was ich alles nicht kann, wo ich wieder nicht genug gemacht habe oder mich hätte anders verhalten sollen. Konkret sind es sogar Gedanken, dass ich meinen Sohn nicht guttue, dass mein Mann mich verlassen wird, weil er mich mit der Depression und den Ängsten nicht erträgt, dass meine Freunde sich von mir abwenden … Das ist harte Realität in meinem Kopf, die weder gerechtfertigt ist, noch wahr. Und hier braucht es einen Realitätscheck.

Ich eröffne meinen Gedanken immer wieder die Möglichkeit, wie es wäre, wenn das Gegenteil von dem stimmt, was sie mir da erzählen und was ich durch sie spüre.

Das würde bedeuten, dass ich wertvoll bin und gut so, wie ich bin. Und dass ich dafür nichts tun und beweisen muss. Das würde bedeuten, dass ich meinem Sohn eine wunderbare Mutter bin, ihn nicht nur unbeschreiblich liebe, sondern diese Liebe jeden Tag zum Ausdruck bringe. Das würde bedeuten, dass ich annehmen kann, dass mein Mann bereits seit fast elf Jahren an meiner Seite ist. Ich möchte diese Tatsache endlich mit dem Herzen sehen und annehmen, zulassen und mit jeder Zelle glauben, wenn er sagt: „Ich liebe dich!“ Das würde bedeuten, dass ich es in mein Herz lasse und spüre, dass dieser Mann, der mich geheiratet hat, nichts von mir erwartet, sondern mich wirklich so nimmt, wie ich bin. Das würde auch bedeuten zu sehen und anzunehmen, dass meine Freunde an meiner Seite sind. Ebenfalls schon jahrelang, Jahrzehnte inzwischen und dass ich ohne Frage auch eine Bereicherung für sie bin. Ich bin ein wertvolles Puzzleteil unserer Freundschaft.

Wie wunderbar wäre es, all das sicher zu wissen und vor allem auch so zu spüren. Meist weiß der Verstand ja schon, was sich im Körper noch nicht so anfühlt.

Allein die Möglichkeit dafür zu öffnen, dass Miene abwertenden Gedanken nicht richtig liegen, kann schon einen leisen oder eher lauten Vorgeschmack geben auf das Herantasten an eine neue Wahrheit über mich selbst. Wie wäre es, wenn es wirklich stimmt, dass ich gut bin, so wie ich bin? Und tatsächlich ist es nicht nur eine Möglichkeit. Es ist schlichtweg die Wahrheit.

Und das darfst du dir selbst nun aufmerksam auf der Zunge zergehen lassen und in dein Herz holen.

DU bist wertvoll und genau richtig, so wie du bist. Das musst du dir nicht verdienen. Es ist zweifelsohne so, dass du es aus dem Grundrecht deiner bloßen Existenz hier auf Erden verdient hast, geliebt zu sein. DU hast deinen Platz hier in dieser Welt ganz ohne, dass du ihn verdienen musst. Und du darfst ihn mit Ausrufezeichen (!) einnehmen, diesen Platz. Denn ohne dich würde auf dieser Welt etwas Wertvolles fehlen.

Ebene des Körpers:

Die nächste Ebene, auf der du ganz konkret Raum schaffen kannst, ist die deines Körpers.

Dein Körper-Geist-System bedingt sich gegenseitig. Ist eine Ebene blockiert oder eng, kannst du über eine andere einen Zugang finden. So können sich auch deine Gedanken und deine Gefühlswelt verändern, wenn du auf körperlicher Ebene wieder lockerer in den Schultern bist und freier atmen kannst. Alle Übungen, die dir hier guttun, sind ausdrücklich erwünscht.

Für mich ist es vor allem Yoga mit ruhigen und restaurativen Yin-Haltungen, aber auch das Erforschen von ganz individuellen Bewegungssequenzen, was mein Körper braucht. Dazu traue ich mich, freies Tönen zuzulassen und hörbar zu atmen. Und ich weiß sehr zu schätzen, dass ich auf meinem Weg immer wieder finde, was wohltuend ist.

Schau dir für die Erkundung von freien und intuitiven Bewegungen, die aus deinem Körper kommen, auch gerne den 5-Rhythmen-Tanz an. Hier wirst du durch verschiedene musikalische Rhythmen geleitet und bewegst dich geführt durch die Areale deines Körpers. So führst du Bewegungen beispielsweise aus den Ellbogen heraus, dann aus den Händen usw.

Yoga und Eigenbewegungen mit der ausdrücklichen Erlaubnis für den Körper, den eigenen Raum einzunehmen, öffnet dich ebenfalls für neue Möglichkeiten und Sichtweisen.

Ebene deiner Gefühle:

Für die Etablierung von Weite im Herzraum auf Gefühlsebene übe ich regelmäßig die Meditation der liebevollen Güte. Die Metta-Meditation ist eine der ältesten buddhistischen Meditationen. An erster Stelle sendest du dir selbst dein Wohlwollen, indem du dir Gesundheit, Glück, Geborgenheit schickst. Erst, wenn du dir selbst das gegeben hast, was dich nährt, sendest du Güte an andere.

Zusammenfassung:

Jetzt hast du für dich einige Anreize, die es dir im Alltag ermöglichen, dir mehr Raum in dir zu schaffen.

für den Geist: mit wohlwollenden Gedankenansätzen für den Körper mit Tanz und Yogabewegungen für die Gefühle mit der Mediation der liebevollen Güte

Dein ständiger Begleiter auf deinem Weg darf dabei die Achtsamkeit sein. Du bist eingeladen, dich, diene Gedanken und dein Handeln zu beobachten, um so zu lernen, wann und warum du in alte Muster rutschst, die dir nicht guttun. Im nächsten Schritt kannst du dich dann dem zuwenden, was dir stattdessen guttun würde und dir eben besagten Raum in dir schafft.

Es geht um ein Wahrnehmen. Ja, da ist sie, die Angst. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass mit ihr und ihren Gedanken oder Empfindungen auch alles eintritt, was an Katastrophenszenarien von der Angst präsentiert wird. Wie ist stattdessen der Gedanken, dass obwohl die Angst gerade das ist, du trotzdem heute Nacht schlafen kannst oder deinen Tag meisterst?

Mit dieser und den zuvor erwähnten Ideen von Raum in dir geht es nicht um ein Wegmachen oder Weghaben wollen von Angst oder anderen unangenehmen Gefühlen oder Zuständen. Es geht darum, Platz zu schaffen für das, was daneben, neben dem, was dich belastet, auch noch da ist. Und diesen Ressourcen dann wohlwollenden Raum zu geben.

So kommst du wieder ins Forschen, Entdecken neuer Möglichkeiten und Perspektiven und schaffst einen Fokuswechsel hin zu deinen Stärken und Ressourcen. Hin zu dem, was sich wohlig und angenehm in dir anfühlt.

Und auf diesem Weg des Forschers und Entdeckens deiner neuen Räume, Gedanken und Wahrheiten über dich selbst, wünsche ich dir ganz viel Spaß und Freude.

Schön, dass es dich gibt! Deine Steffi