Warum bin ich manchmal nicht die Mama, die ich sein möchte?

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Gestern war ich mit meinem Sohn auf dem Weg zu Oma und Opa. Das klingt nach einem machbaren Unterfangen. Mit unserem Wirbelwind werden solche Ausflüge jedoch nicht selten zu einer Achterbahnfahrt der Emotionen. Das gilt an dieser Stelle für beide Seiten: Für meinen Kleinen wie auch für mich, denn beide haben wir eine mehr als lebhafte Emotionswelt.

Mein Sohn ist zwei. Vor ziemlich genau einem Monat hatte er Geburtstag. Genug Zeit, den kleinen, wunderbaren Menschen an meiner Seite zu kennen und auch mit seinen Ecken und Kanten umgehen zu können? Dem ist leider nicht so. Denn auch wenn ich sagen kann, dass ich nach 1,5 Jahren nach seiner Geburt endlich im Mamadasein angekommen bin, heißt das nicht, dass ich meinen Sohn immer verstehe und weiß, was er braucht.

Mein Kleiner ist ein gefühlsstarkes Kind. Das ist er schon seit er das Licht der Welt erblickt hat. Ich mag diesen Begriff, denn er betont die Chance und das Schöne, was in seinen Charaktereigenschaften mitschwingt. Manchmal fällt es mir jedoch schwer, dass auch im Alltag so zu sehen. Ich weiß, es gibt keine Norm. Und ich weiß auch, dass es gar nichts bringt, meinen Sohn mit anderen Kindern im selben Alter zu vergleichen. Doch auch ich bin nicht nur Mama, sondern vor allem auch Mensch. Und als solcher scheitere ich manchmal an meinen eigenen guten Vorsätzen. An schwierigen Tagen oder in für mich schwierigen Momenten sehe ich nicht nur das geliebte gefühlsstarke Kind, ich sehe meinen Sohn, den ich natürlich liebe, der aber einfach nur wild, fordernd und anstrengend ist. Bevor du jetzt denkst, ja, klar, so sind Kinder eben manchmal. Alle Kinder sind mal wild, laut, fordernd und widerspenstig aus der Sicht ihrer Eltern. Ja klar, das sind sie. Und wenn das eigene Kind in einem wilden Trotzanfall auf dem Gehweg liegt, mit den Fäusten auf die Steine trommelt und dabei tobt, braucht jedes Kind liebevolle Begleitung, um aus dieser Emotion wieder herauszufinden. Bei manch einem Sprössling gelingt die Regulation von außen schnell. Andere Kinder toben trotz aller fürsorglicher Bemühungen weiter. Die Eltern stehen dann nicht selten hilflos und ratlos da und versuchen der Gefühlswelt ihres Schützlings wie auch den eigenen Emotionen Raum zu geben. Genau hier stehe auch ich, neben meinem vor Wut überschäumenden Sohn, in dem Versuch die Situation zu deeskalieren.

Mein Kleiner bedient mit seinem emotionalen Spektrum die äußersten Enden der Skala. Er ist extrem feinfühlig und gleichzeitig extrem impulsiv, er sehnt sich nach kuscheln und Nähe, fordert aber gleichzeitig den Raum für seine Freiheit. Er ist extrem mutig, scheut andererseits aber auch Neues zu probieren. Er ist unglaublich begeisterungsfähig, und extrem schnell niedergeschlagen und wütend. Diese Extreme zehren an meiner Energie und der meines Partners. Wir möchten gute Eltern sein und unseren Sohn liebevoll begleiten. Doch oft haben wir das Gefühl zu scheitern, so groß ist in manchen Momenten die Überforderung. Ich fühle mich manchmal mitgewirbelt in den Gefühlsstürmen, die durch das Hirn meines Kleinen toben. Und ich fühle mich unverstanden.

Mir standen Tränen in den Augen, als ich in dem Buch “So viel Freude, so viel Wut” von Nora Imlau Worte einer Mutter fand, die ihre Tochter wie folgt beschreibt:

“Denke ich an meine Kleine, ist es, als fange sich in meinem Kopf ein Karussell an zu drehen. So viele Gefühle, so viele Eigenschaften, so viele Extreme vereinigen sich in diesem einen kleinen Menschen. Sie ist so laut und so still. Sie ist so witzig und so ernst. Sie kann unfassbar wild sein, mich regelrecht umhauen mit ihrer Energie, um dann abends im Bett nahezu in mich hinein zu kriechen, wenn sie sich an mich kuschelt. Als wäre ihr alle Nähe dieser Welt nicht genug. Sie kämpft viel, mit sich, mit uns, mit der Tatsache, dass sie in den Kindergarten gehen muss und dass die Nacht zum Schlafen da ist. Von ihren Gefühlen wird sie oft völlig übermannt. Dann weiß sie nicht mehr ein noch aus vor lauter Traurigkeit und Zorn. Dann beißt und schreit und spuckt sie wie ein wildes Tier, unbändig, unheimlich. Ihre Wut kennt keine Grenzen. Sie ist das Kind, das die Krabbelgruppe sprengt und den Musikkurs, das mir skeptische Blicke im Supermarkt einbringt und Zweifel an meinen Fähigkeiten als Mutter sowieso. Sie ist das Kind, das mich mit einer Heftigkeit braucht und liebt, wie ich sie bisher nicht kannte und dem all die Liebe und Nähe und Aufmerksamkeit, die ich ihr gebe niemals zu reichen scheinen, um einfach mal ruhig zu werden und loszulassen und wirklich zu entspannen. Und oft habe ich das Gefühl niemand sonst auf der Welt hat so ein intensives, forderndes, über allen Maßen anstrengendes und trotzdem wunderbares Kind wie ich.”

Als ich das las, dachte ich mir: Ich bin nicht allein. Es gibt noch so viele andere Mamas und Papas das draußen, die Ähnliches durchmachen. Und auch, wenn kein Kind dem anderen gleicht, so gibt es doch Eltern, die mehr miteinander teilen als andere, weil das Temperament ihrer Schützlinge sich ähnelt.

Nein, mein Sohn hat nicht die Krabbelgruppe gesprengt und er geht auch gerne in die Kita. Doch der Weg dahin vom Anziehen der Jacke bis zum Umziehen in der Garderobe wird oft zu einer mittelgroßen bis schweren Geduldsprobe für meinen Mann und mich. Täglich geben wir unser Bestes, begleiten ihn durch die Stürme, trösten, tragen, kuscheln, halten aus und halten an, halten inne. Mit ihm, für ihn und für uns. Wir haben uns Hilfe bei einer Ergotherapeutin geholt und feiern seitdem große Erfolge in der Begleitung unseres Schützlings. Phasenweise schaffen wir gemeinsam einen vorausschauenden Alltag und ermöglichen so unserem Sohn ganz ohne emotionale Attacken durch den Tag zu gehen. Erwartbarkeit ist hier das Stichwort. Unser Kleiner soll möglichst vorbereitet in jede Situation des Tages gehen, damit er sich darauf einstellen kann, was passiert. Das wiederum verhindert die so leicht aufkommende Überforderung, mit der die starken Emotionen oftmals einhergehen.

Es gibt Tage, an denen möchte es nicht gelingen die Mama zu sein, die mein Kind braucht. Dabei weiß ich, dass ich zuerst mich selbst fragen darf, ob und warum ich gestresst bin, wenn mein Kind sich in meinen Augen unmöglich verhält. In einer Familie agiert niemand für sich allein, sondern alle beeinflussen sich gegenseitig. Bin ich gestresst, neige ich schnell zu Überreaktionen und das stresst wiederum meinen Sohn. Schon an diesem Punkt ist die negative Spirale in Gang gesetzt, die sich weiter dreht, wenn ich nicht hinsehe und wir gemeinsam aussteigen.

Erst gestern, auf dem Weg zu Oma und Opa, ist es wieder passiert. Ich habe meinen Sohn wutentbrannt hochgenommen, ihn mir regelrecht rücksichtslos unter den Arm geklemmt. So bin ich nur ein paar Schritte mit ihm gelaufen, während er halb kopfüber über meinen rechten Arm baumelte. Erschrocken hielt ich nach wenigen Metern an, ließ meinen Sohn vorsichtig zu Boden und hockte mich auf Augenhöhe vor ihn. Was gerade geschehen war, war eine Überreaktion. Eine emotionale Entladung von Hilflosigkeit, die sich bei mir in Wut äußert. Es war eine kleine Situation: Er wollte nicht laufen. Ich wiederum hatte ihn gebeten das letzte Stück selbst zu gehen, weil ich noch eine schwere Tasche trug. Meine Wut wollte in diesem Moment in einen Machtkampf gehen und einfach mal klar machen, dass auch ich Bedürfnisse habe. Und da standen wir beide auf dem Gehweg, beide stur, beide wütend und ich forderte ihn so lange auf selbst zu gehen, bis alles eskalierte und ein wütender kleiner Mensch trommelnd auf dem Gehweg lag während ich meine Stimme viel zu laut in meinen Ohren widerhallen hörte.

Die eigene Hilflosigkeit gibt einem in Extremsituationen zwei instinktive Optionen: “Fight OR Fight”. Als Mutter kann ich nicht fliehen, denn ich möchte mein Kind niemals allein lassen. Was bei mir in solchen Momenten bleibt ist die Wut. Keine kopflose, in der ich meinem Sohn etwas antue, aber eine unüberlegte und impulsive, die mich vor mir selbst zurückschrecken lässt. Denn auch ich kenne es, wie mein Sohn, regelrecht von Gefühlen überfahren zu werden.

Warum bin ich manchmal nicht die Mama, die ich sein möchte? Tränen rollen über meine Wangen, weil ich theoretisch weiß, dass ich ihn einfach hätte tragen können und dann wäre nichts von alldem passiert. Doch praktisch mache ich Fehler, verhalte mich manchmal nicht so, wie ich es selbst gerne würde und das ist menschlich. Ich darf lernen mir für diese Fehler zu verzeihen. Denn sie zeigen mir selbst meine eigenen Grenzen auf.

Ich habe mich bei meinem Sohn entschuldigt. Er ist zwar erst zwei, doch auch er verdient Respekt wie jeder Erwachsene auch. Er spürt schließlich meine Wut, also soll er auch meine aufrichtige Bedauerung über meine unüberlegte Reaktion spüren. Und ich selbst versuche weiterhin jeden Tag ein Stückchen besser zu werden. Morgen habe ich wieder die Chance, eine bessere Mama zu sein als gestern. Doch auch wenn ich Fehler mache, die mir selbst im Herzen wehtun, so sind diese Augenblicke Teil eines echten Lebens. Nichts und niemand ist perfekt und jeder Moment, der uns spüren lässt, was wir nicht sind, bringt uns näher zu dem, was wir wirklich sind.