Mama mit Suizidgedanken

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Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, ob ich diese Gedanken, die nun folgen, teilen möchte. Sie finden sich unter meinen Tagebucheinträgen aus dem November 2020, aus der Zeit, in der ich insgesamt elf Wochen in der Psychiatrie in Berlin-Weißensee verbrachte. Zu dieser Zeit war mein kleiner Sohn gut ein Jahr alt und in mir war nichts als Hoffnungslosigkeit. Dieses Gefühl ist nicht nur ein Symptom einer Depression. Die Hoffnungslosigkeit, die Betroffene fühlen, wird nicht zuletzt genährt durch einen Mangel an Aufklärung und fehlende Hilfsangebote.

Heute bin ich zu der Entscheidung gekommen, dass es wichtig ist, meine schrecklichsten Gedanken während einer schweren depressiven Episode zu teilen. Denn heute geht es mir gut. Ich lebe mit der Depression mal mehr und mal weniger leicht, aber ich lebe und ich liebe es. Ich erfreue mich an den kleinen Dingen, wie einem wärmenden Tee am Morgen. Ich habe große Pläne und Visionen, die mich tragen und die mich mein Leben aktiv gestalten lassen. Ich nehme mein Leben wieder in die Hand. Denn ich bin es, die die Entscheidungen trifft, die anhält, wenn es zu wild wird, die weiter läuft und wieder aufsteht, die verweilt, wenn es sich gut anfühlt.

Deshalb möchte dir geben, was mir damals im Loch der Hoffnungslosigkeit so sehr gefehlt hat: Die Aussicht darauf, dass alles wieder gut wird!

Die schwere Episode vergeht und mit ihr gehen auch die furchtbaren Gedanken! Das Leben ist schön und lebenswert. Und auch, wenn du es gerade nicht fühlen oder sehen kannst, das kommt wieder! Vertraue darauf! Alles wird gut!

Ich war selbst ganz, ganz unten. Dies anzuerkennen, schmerzt mich noch immer. Und dir einen Einblick in diesen Teil von mir zu geben, macht mich verletzlich, macht mich angreifbar. Doch das ist es mir wert, denn ich weiß, dass meine Offenheit helfen kann. Ja, vielleicht sogar retten kann.

Damals, genau einen Tag nach dem ersten Geburtstag meines Sohnes habe ich mich selbst wegen schwerer Depressionen stationär aufnehmen lassen. Ich wusste nicht mehr ein noch aus. Alles, was ich wusste, war, dass ich dringend Hilfe brauchte und dass ich es allein nicht mehr schaffen würde. Die Depression war zu dieser Zeit so stark, dass ich in Gedanken dabei war, mein Leben zu beenden. Natürlich war mir bewusst, dass ich eine Familie zurücklassen würde, meine Familie, meinen Sohn, der so klein und unschuldig ist. Schuldgefühle erstickten mich. Doch viel größer war der Wunsch in mir, all das, was ich fühlte, all das, was meine Gedanken hervorbrachten, nicht mehr fühlen und nicht mehr denken zu müssen. Zu groß war der Schmerz in mir, zu ausweglos die Hoffnungslosigkeit, zu angstvoll jeder Atemzug.

Suizidgedanken sind die stärkste Ausdrucksform, die eine Depression finden kann. Es sind erschreckende Zwangsgedanken, die sich mit wiederkehrenden destruktiven Vorstellungen und Bildern aufdrängen. Damals richtete sich diese zerstörerische Kraft der Gedanken gegen mich selbst und mein eigenes Leben. Wüsste ich heute, dass nicht ich hier denke, sondern die Krankheit, die Depression, mir diese Gedanken aufzwingt, hätte ich vielleicht ein Stück zurücktreten können. Ich wünsche mir sehr, dass du es kannst.

Tagebucheintrag aus der Klinik, November 2020:

Meine Stirn ruht auf der Yogamatte. Den Oberkörper habe ich über die angewinkelten Beine gefaltet. Meine Schultern hängen locker zu den Seiten und die Arme strecken sich zu meinen Füßen. Kindsposition heißt diese Position im Yoga. Und so fühle ich mich auch, wie ein hilfloses Kind, das einfach nur gehalten werden möchte.

Die Tränen rollen über mein Gesicht. In großen Tropfen fallen sie auf die Matte und bilden eine kleine Ansammlung aus salzigem Nass. Mein ganzer Körper ist so wahnsinnig erschöpft, dass ich schon seit geraumer Zeit in dieser Stellung verweile. Ich spüre, dass gerade gar nichts mehr geht, außer mich den Wellen der Trauer und der Hilflosigkeit zu ergeben. Mich hinzugeben. Vollkommen. Wie ein Baby schluchze ich und die Tränen wollen einfach nicht aufhören zu laufen.

Wie ich hier so liege, habe ich das Gefühl, nochmal ganz von vorne beginnen zu müssen, mein Inneres mit einem Reset-Knopf neu starten zu müssen. In mir fällt alles auseinander und ich hoffe, dass sich die Teile wieder zu einem Ganzen zusammensetzen kann. Aber wo finde ich den Knopf, um auf Neustart zu drücken?

Äußerlich ruhig verweile ich zusammengerollt auf meiner Matte, aber in meinem Kopf hämmert es ununterbrochen: „Wum, wum, wum, wum …“ Auf meinem Ohr liegend kann ich den Puls in meinem Kopf hören. Ein schnelles Pochen, das sich nur noch zu beschleunigen scheint. Mein Kopf fühlt sich schwer an wie Blei und der ganze Druck versucht sich über die fließenden Tränen zu entladen.

Gedanken rauschen vor meinem inneren Auge vorbei. Die meisten davon so schnell, dass ich sie nicht fassen kann. Und dann sind da Bilder, die ich einfach nur wegdrücken möchte, die ich nicht wahrhaben möchte. Doch je mehr ich versuche diese Bilder wegzuschieben, desto deutlicher werden sie:

Mit einer Rasierklinge stehe ich unter der Dusche und beginne die Klinge über meinen Unterarm zu bewegen, dort, wo die Pulsadern verlaufen. Dann zeigt mir mein Kopfkino, wie ich das kleine Obstmesser in der Hand halte, was bei uns im Zimmer liegt. Mit Wucht ramme ich es mir in den Arm … Eine Tram erfasst mich und trägt mich davon.

Noch mehr Tränen und noch mehr Hilflosigkeit, gepaart mit tiefer Verzweiflung. Ich möchte weglaufen vor den Gefühlen in mir, vor den Bildern in meinem Kopf, aber ich fühle mich so schwach.

Dann raffe ich mich auf, ziehe mir die Schuhe an, ziehe die Mütze auf den Kopf und werfe die Jacke über. Raus, frische Luft an meinen Kopf lassen. Draußen ist der Sturm in meinem Kopf etwas leiser und besser zu ertragen. In Ruhe, bewegungslos, halte ich die Empfindungen, die die Angst in mir auslösen, kaum aus.

Immer wieder überrollen mich Wellen, in denen sich alles in mir zusammen zieht. Meine Welt wird dann immer enger und das Außen beginnt sich um mich zu drehen.

So geht das noch viele Stunden und alles, was ich tun kann, ist diesem Sturm in mir standhalten. Weil jeder Sturm auch wieder vorüberzieht. Und ich entscheide mich für das Leben, das ich gerne führen möchte. Die Hoffnung auf meine innere Heilung trägt mich. Vor allem aber trägt mich die Liebe zu meinem Sohn, die Liebe zu meiner Familie. Ich schaffe das! Alles andere ist einfach keine Option.

Tabletten. Heute ist mir egal, wie viele ich nehme und wie oft. Habe ich vor einigen Monaten noch mit mir gehadert und mich dafür geschämt, dass ich nun Antidepressiva nehme, so nehme ich nun jede Erleichterung dankend an. Mit einem Schluck Wasser spüle ich die Tablette herunter, die mir die Schwester aus meiner Bedarfsmedikation reicht. Ein metallischer Geschmack liegt auf meiner Zunge. Noch einen Schluck Wasser hinterher, denn die kleine rote Pille steckt in meinem Rachen fest. Mit dem zweiten Schluck findet sie ihren Weg und ich warte auf die erleichternde Wirkung.

Heute Abend gibt es wieder Schlaftabletten. Auch hier warte ich, dass die Chemie mir Befreiung schenkt. Einmal wegtreten, nicht spüren und beten, dass ich nicht allzu schnell wieder erwache und wieder mit der Angst in mir konfrontiert bin. Die Nächte sind die schlimmsten. Denn dann, wenn alles ruhig ist, ist mein Innen umso lauter. Dann kommen sie wieder, die Wellen der Angst, die mich wegschwemmen in eine dunkle Welt und nur der Morgen kann die Gedanken ein wenig forttragen von all der Dunkelheit.